Rosa Cattafi hat jahrelang gespart, um ihr Traumhaus zu kaufen – ein kleines Haus in einer ruhigen Nachbarschaft von Torre Faro, einem windigen Dorf an der nordöstlichen Spitze Siziliens. Aus ihrem Fenster sieht sie die schimmernde Straße von Messina. Seit 11 Jahren ist dieser Blick ihr Frieden, ihre Belohnung für ein Leben harter Arbeit.
Jetzt könnte ihr all das genommen werden.
Nicht wegen eines Verbrechens. Nicht aus Gründen der öffentlichen Sicherheit.
Sondern für ein Megaprojekt, das wenige Einheimische je verlangt haben – eine 13,5 Milliarden Euro teure Brücke, die Sizilien mit dem Festland verbinden soll.
Rosa gibt nicht nach.
„Ich habe viele Opfer gebracht, um dieses Haus zu kaufen“, sagt die 66-Jährige. „Ich habe keinen Plan B. Geld interessiert mich nicht. Wenn sie mein Haus zerstören, können sie auch mich zerstören.“
Die Brücke ist seit über einem Jahrhundert ein politischer Traum – oder Alptraum. Vorgeschlagen, verworfen, wiederbelebt und dann wieder begraben. Jetzt hat die Regierung von Giorgia Meloni das Projekt wiederbelebt und positioniert es nicht nur als Infrastruktur, sondern als strategischen NATO-Vermögenswert.
Aber die Einheimischen sehen das anders.
Sie sehen Vertreibung. Sie sehen Korruption. Sie sehen ein weiteres Versprechen, das halbfertige Straßen, leere Gerüste und zerstörte Landschaften hinterlassen wird – wie so viele andere Projekte im Süden Italiens.
„Sie wollen mit Gewalt unser Haus nehmen“, sagt Cettina Lupoi, 74 Jahre alt, deren Haus seit fast drei Jahrzehnten auf der Trasse der Brücke steht. „Wir werden sie niemals lassen.“
Die Brücke würde sich über 3,7 Kilometer über eine der seismisch aktivsten Zonen Europas erstrecken – dieselbe Straße, die 1908 das Epizentrum eines Erdbebens war, das Zehntausende tötete.
Wer hat das genehmigt? Und vor allem… warum gerade jetzt?
Sogar der 10,5-Milliarden-Euro-Vertrag, der an WeBuild (ehemals Impregilo) vergeben wurde, wirft Fragen auf. Die ursprüngliche Ausschreibung stammt aus dem Jahr 2006. Sie wurde abgesagt. Dann hat die Regierung Meloni stillschweigend den alten Vertrag „reaktiviert“ – ohne neue Ausschreibung, ohne Wettbewerb.
Ist das überhaupt legal? Der Anwalt Antonio Saitta, der einige der von Enteignung bedrohten Hausbesitzer vertritt, sagt nein – und ist bereit, dies vor Gericht anzufechten.
Schauen Sie auf eine Karte. Sie sehen hunderte rote Punkte – jeder markiert ein Haus, einen Garten, die Geschichte einer Familie, die bald von der Karte verschwinden wird, um Platz für 400 Meter hohe Pylone und 40 km Straßen- und Schienenverbindungen des Projekts zu machen.
Sie werden auch Protestschilder sehen.
Tausende gingen kürzlich in Messina auf die Straße. Einige hielten Fotos ihrer Häuser hoch. Andere kamen mit ihren Kindern. Es ging nicht nur um Beton und Stahl. Es ging um Identität, Gemeinschaft und die wachsende Angst, dass Entscheidungen weit weg ohne ihre Zustimmung getroffen werden.
Luigi Sturniolo, ein örtlicher Bibliothekar, der die Proteste organisiert, brachte es auf den Punkt:
„Diese Großprojekte werden nicht für die Menschen gebaut. Sie dienen dazu, öffentliche Gelder in private Hände zu leiten.“
Über Häuser und Nachbarschaften hinaus bedroht die Brücke auch etwas Globales: Die Straße von Messina ist eine wichtige Zugroute für Vögel – hunderte Arten fliegen zwischen den Kontinenten.
Die Ornithologin Anna Giordano, Beraterin für den WWF, nannte das, was es ist: ökologischer Vandalismus.
„Dieser Ort, die einzigartige Biodiversität hier, gehört der ganzen Welt.“
Umweltschutzgruppen haben bereits die Europäische Kommission eingeschaltet und gewarnt, dass das Projekt gegen EU-Schutzgesetze verstößt. Wird es genehmigt, könnte das einen Präzedenzfall für zukünftige Zerstörungen unter dem Deckmantel des Fortschritts schaffen.
In Villa San Giovanni, der kleinen Festlandstadt, in der die Brücke ankommen soll, feiert die Bürgermeisterin nicht. Sie hat Angst.
„Die ganze Stadt wird eine Baustelle sein“, sagt Giusy Caminiti. „Wir werden völlig lahmgelegt sein.“
Sie zweifelt auch daran, ob das Projekt überhaupt machbar ist. Die Fährverbindungen haben sich in den letzten 20 Jahren halbiert. Das Erdbebenrisiko bleibt hoch. Und wenn die Arbeiten beginnen und dann stocken – wie viele befürchten – bleiben sie mit einem weiteren unvollendeten Versprechen und ohne Perspektive zurück.
Diese Brücke wurde als „die größte aller Zeiten“ bezeichnet, sogar vom US-Botschafter. Doch dieses Lob klingt hohl in den Ohren derer, die den Bulldozern gegenüberstehen.
Denn hinter jeder Schlagzeile steckt eine Rosa.
Eine Cettina.
Ein Luigi.
Ein Daniele.
Menschen, die Leben gebaut haben, nicht nur Häuser.
Sie protestieren nicht gegen Fortschritt. Sie protestieren, weil Fortschritt – wenn er ohne die Menschen gemacht wird – etwas ganz anderes wird.